Leidenschaftliche Aufklärung

Das Ensemble „Faltenradio“ aus Wien versteht seine Melange aus unterschiedlichen Stilen als kosmopolitische Botschaft

„Die Zukunft unserer Welt wird allen Völkern gemeinsam sein oder sie wird sich als sehr unwirtlich erweisen“. Das hat vor mehr als fünfzig Jahren der große Komponist und Dirigent Leonard Bernstein gesagt. Und mit genau diesem Zitat startete das österreichische Quartett Faltenradio sein Programm „Respekt“ in der ausverkauften Friedenskirche. Um es gleich vorweg zu sagen: Mit dem Auftritt von Faltenradio ist den Organisatoren der Kleinkunstbühne Leierkasten um Frank Striegler ein echter Coup gelungen. Denn die vier Musiker – die Bezeichnung ist übrigens ein Synonym für die Steirische Harmonika – spielen allesamt in der Oberliga ihres Fachs. Alexander Neubauer ist Soloklarinettist bei den Wiener Symphonikern und veritabler Professor. Matthias Schorn ist Soloklarinettist bei den Wiener Philharmonikern, Klarinettist Stefan Prommegger lehrt am Musicum Salzburg. Akkordeonist Alexander Maurer unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater in München und an der Hochschule Linz. Das Quartett wollte ursprünglich „der Volksmusik wieder zu ihrem Recht verhelfen“, wie Schorn der SZ Dachau sagte. Warum? Weil Volksmusik ein gleichberechtigtes Genre neben der Klassik sei, weil viele Komponisten ohne die Einflüsse der Volksmusik gar nicht denkbar seien, wie beispielsweise Gustav Mahler oder Richard Strauss. Aus der Mission Rettung der echten Volksmusik sind inzwischen diverse Programme entstanden, eines davon ist „Respekt“. Wir wollen damit unsere humanistisch-musikalisch-musikantische Haltung zeigen“, sagte Schorn. Herausgekommen ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Mitmenschlichkeit und gegen Xenophobie, ein Crossover aus Klassikanleihen und Volksmusikklängen, aus Tango-Assoziationen, Klezmer-Tönen und Gipsy-Jazz-Fetzen, ein Wechselbad der Gefühle: himmelhoch jauchzend, weil Ausnahmemusiker ihr Programm nicht abspulten, sondern lebten. Genau das spürten vermutlich 180 Kinder schon nachmittags beim Konzert in der ausverkauften Friedenskirche. Die Musiker konfrontierten sie mit ihrem Programm. Mehr als eine Stunde lang hielten sogar die kleinsten Zuhörer konzentriert durch. Bei dem „Karneval der Tiere“ durften sie zwar die einzelnen Tiere erraten. Aber das war’s schon mit der Annäherung an das Kindliche. Anders gesagt: Musik kennt kein Grenzen und Generationen. Diese Faszination setzte sich am Abend mit der Ouvertüre zu Bernsteins Musical Candide fort, dieser immer noch mitreißenden Suche nach einer besseren Welt, die mit dem Rückzug ins Private endet. Es fand seine Fortsetzung in Bach-Adaptionen, in Astor Piazzollas „Fuga y misterio“, in Viola Falbs „Floating Thoughts“ oder in unwiderstehlich schwelgerischer Tanzmusik. Das waren gewissermaßen die dringend benötigten Haltegurte fürs Gemüt. Denn „Respekt“ ist kein Samstagabend-Wellness-Musikprogramm. Die Faltenradio-Musiker zeigen vielmehr, was derzeit auch hierzulande gewaltig schiefläuft. Matthias Schorn machte aus Konstantin Weckers „D’Zigeina san kumma“ eine kaum auszuhaltende Parabel auf schon fast alltägliche Hetzparolen. Er ließ brennende Flüchtlingsheime, erschlagene Asylsuchende, in ihre terrorisierte Heimat abgeschobene Menschen wie eine stumme Mahnwache unter dem riesigen Kreuz im Altarraum der Friedenskirche aufscheinen. Wie ein Schlag in die seelische Magengrube wirkte auch Helmut Qualtingers bitterböser „Knüppelschläger“. Nun hätte Faltenradio seine Zuhörer einigermaßen deprimiert zurücklassen können. Aber das hätte wohl nicht den Persönlichkeiten der Musiker entsprochen. Möglicherweise verwandelten sie sich deshalb blitzartig in „vier wilde Hunde“, die ihren Instrumenten unfassbar schöne, berauschende Töne entlockten, Falco mit einer Amadeus-Parodie ihre Reverenz erwiesen und mit Franz Schuberts „Leise flehen meine Lieder“ der großen Trösterin Musik Respekt zollten.